Denkste! Als Dr. Johannes Heimbucher, Chefarzt für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Marienkrankenhaus Kassel (MKH) in den 90er Jahren in Los Angeles am dortigen Universitäts-Klinikum arbeitete, merkte er schnell einen wesentlichen Unterschied zu deutschen Krankenhäusern. In den USA war man in der Chirurgie nicht allgemein, sondern in unterschiedlichsten Bereichen spezialisiert, kleinteilig fokussiert. Ein Chirurg flickte nicht in der ersten Operation des Tages einen gebrochenen Oberarm zusammen, anschließend wurde ein entzündeter Blinddarm entfernt, danach ging es an Gallensteine. Nein. Jeder Chirurg am OP-Tisch operierte den ganzen Tag nur in einem eng abgesteckten Bereich.
Am MKH hat Heimbucher entscheidend mit dazu beigetragen, dass über viele Jahre hinweg der Prozess in genau diese Richtung ging. Hernien- (laienhaft formuliert geht es da vorwiegend um Leistenbrüche oder auch allgemein um Schwachstellen in der Bauchwand) und Schilddrüsen-Chirurgie waren die ersten Felder, in denen man sich spezialisierte. Wohlgemerkt: Innerhalb der Chirurgie.
Aber nun gibt es da ein neues Special Team. Koloproktologie ist der Fachbereich – und mit einem etwas sperrigen Fremdwort wird umschrieben, dass es hier um Erkrankungen des Dickdarms, des Enddarms, des Beckenbodens und des Darmausgangs geht. Wobei man hier schon differenzieren muss.
Die Spezialisierung ist eine Erfolgsgeschichte. Heimbucher kennt die Daten. Im Jahr 2022 beispielsweise hat die Chirurgische Klinik des MKH über 4000 Patienten behandelt und viele davon auch operiert. Das waren ausweislich der gesetzlich vorgeschriebenen Qualitätsberichte mehr Patienten als in allen anderen Chirurgischen Kliniken der Stadt Kassel zusammen. Die Kompetenz der Klinik am Rothenberg spricht sich rum, vor allem bei den niedergelassenen Ärzten.
Aber es ist ja nicht nur das Operieren an sich. Heimbucher und Lauinger sind Chirurgen. Operationen sollten aber stets am Ende einer umfassenden Diagnostikkette auf der Basis einer abgewogeneren Entscheidung erfolgen. Kollegen verschiedener Fachrichtungen der Viszeralmedizin, die gemeinsam jeden einzelnen Patienten von Anamnese (Krankheitsgeschichte) bis Befund evaluieren, stimmen sich über die individuelle Vorgehensweise ab. Für Lauinger ist die Kooperation mit anderen medizinischen Disziplinen, die gemeinsame Suche nach der bestmöglichen Therapie entscheidend.
Die Strategie, auf mehr und mehr Spezialisierung in der Chirurgie zu setzen, hat viele Gründe. Einer: Statistiken zeigen sehr deutlich, dass mit steigenden Fallzahlen und der daraus resultierenden Routine beispielsweise die Ablauf-Optimierung zunimmt, die OP-Zeiten kürzer werden, die Qualität der Operationen zunimmt – was gut ist vor allem für die Patientenschaft. Mehr Menschen kann erfolgreich in derselben Zeit geholfen werden.
Heimbucher verweist aber auch auf einen anderen Grund. Die geplante Krankenhausreform der Bundesregierung wird zur Folge haben, dass nicht mehr jedes Krankenhaus in Deutschland jede Operation ausführen darf. Für koloproktologische Operationen blieben in dem Fall, dass Krankenhäuser streng zertifiziert würden, nicht viele übrig, ist er sicher. Im Klartext: einige Kliniken der Region, die genau in diesem medizinischen Bereich noch chirurgisch aktiv sind, dürften das dann nicht mehr.
Aber Lauinger und er wissen, dass das Umfeld bereitet ist – denn die Chirurgie kann sich auf einen vielseitig belastbaren Unterbau medizinischer Expertise im Haus verlassen. Und noch eines ist sicher: Durch die demografische Entwicklung (die Zahl der altersbedingten Erkrankungen wird zunehmen) wird man sich im MKH über mangelnde Nachfrage in Zukunft nicht beklagen müssen. Jedenfalls: In diesem Jahr steht die Zertifizierung der Koloproktologie an.
Natürlich ist Lauinger als Chirurg kein One-Man-Team. Der frischgebackene Chefarzt fühlt sich in der Mannschaft mit seinen drei Chefarztkollegen und zehn weiteren Fachärzten bestens aufgehoben. Und nicht immer werden Patientinnen und Patienten im MKH künftig nach einem Eingriff stationär verbleiben. Seit Mitte des Jahres gibt es einen neuen OP für ambulante Operationen. „Die ‚Ambulantisierung‘ wird zunehmen“, sagt Lauinger. Alle Trends sprechen irgendwie für das MKH. Hier hat man sowohl politische Vorgaben wie auch fachliche Expertise in eine zukunftssichere Strategie integriert.
Medizinische Stichworte
Hernienchirurgie
Das Wort Hernie leitet sich vom lateinischen Hernia (Bruch) ab. Behandelt werden Ausstülpungen in Bauchwand und Zwerchfell, am bekanntesten ist der Leistenbruch.
Koloproktologie
… beschäftigt sich mit Erkrankungen des Enddarms und des Analkanals, aber auch des Dickdarms und des unteren Dünndarms. Das Wort stammt aus dem Griechischen: Kolon bedeutet Dickdarm, Prokton bedeutet Enddarm.
Viszeralmedizin
… behandelt Patienten mit Erkrankungen der Verdauungs- und Bauchorgane. Viszeral stammt aus dem Lateinischen und heißt „die Eingeweide betreffende.“
Zur Person:
Privatdozent Dr. Johannes Heimbucher wurde in Kassel geboren, machte am Friedrichsgymnasium sein Abitur. In Würzburg studierte er Humanbiologie und Humanmedizin, machte ab 1987 seine Facharztausbildung am Rotes-Kreuz-Krankenhaus in Kassel, war danach an der Uni-Klinik Würzburg und fast zwei Jahre an der University of California in Los Angeles tätig. Von 1994 bis 199 war er Oberarzt an der Uni-Klinik Würzburg, ist seit 1999 Chefarzt der Chirurgischen Klinik am Marienkrankenhaus Kassel.
Dr. Eduardo Lauinger wurde 1977 in Buenos Aires (Argentinien) geboren, studierte Humanmedizin in Buenos Aires und Miami, seine beruflichen Stationen als Assistenzarzt, Facharzt und Oberarzt führten ihn ins Rote-Kreuz-Krankenhaus, das Marienkrankenhaus Kassel, die Uni-Kliniken Göttingen 2020 zurück ins Marienkrankenhaus Kassel, wo er seit Mitte diesen Jahres als Chefarzt tätig ist.
Text: Horst Seidenfaden / Fotos: Harry Soremski
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