Debatte zum Thema „Assis­tierter Suizid“

Debatte im Magazin Stadtzeit Kassel: Hier der Beitrag von Palliativ-Medizi­nerin Dr. med Nina-Kristin Eulitz

Wenn ich als Ärztin mit einem Sterbe­wunsch konfron­tiert werde, versuche ich zunächst zu verstehen, warum jemand diesen Wunsch äußert. Ich bin aufge­rufen, mich der Not dieses Menschen zuzuwenden und in die Situation einzu­fühlen. Voraus­setzung dafür ist, dass ich es schaffe, eine vertrau­ens­volle Gesprächs­at­mo­sphäre zu schaffen, in der es keine Tabus gibt; ggfs. auch mit psycho­the­ra­peu­ti­scher oder seelsor­ger­licher Unterstützung.

Fachlich ist es essen­tiell, einen Todes­wunsch von akuter Suizi­da­lität zu diffe­ren­zieren und die emotionale Dring­lichkeit einzu­ordnen. Hinter dem Wunsch verbergen sich sehr unter­schied­liche Motive und ein unter­schied­licher Handlungs­druck.  So kann es sich um eine dankbare Lebens­s­attheit handeln, es kann der Wunsch, den Todes­ein­tritt zu beschleu­nigen sein, aber auch eine akute Suizi­da­lität mit konkreten Planungen, hohem Handlungs­druck und einem stark einge­engten Wahrnehmungsvermögen.

Es ist hilfreich, im Gespräch die Auslöser für den Sterbe­wunsch gemeinsam anzusehen. Gründe, um nicht mehr weiter leben zu wollen, können innere, persön­liche Motive beinhalten, oder durch äußere Faktoren mitbe­stimmt sein. Neben bestehenden oder gefürch­teten körper­lichem Leid, können akute oder chronische psychische Belas­tungen, existen­ti­elles Leiden oder auch soziale Aspekte, wie das Gefühl eine Last zu sein, den Sterbe­wunsch auslösen. Vielleicht gibt es aber auch eine Lebens­sehn­sucht, die wir nicht übersehen dürfen: Manche Menschen, die einen Sterbe­wunsch äußern, wünschen sich nicht den Tod, sondern wissen nicht, wie sie weiter­leben können.

Eine vertrau­ens­volle thera­peu­tische Beziehung, eine geschützte Gesprächs­si­tuation und das Anerkennen des Sterbe­wun­sches anstelle einer Tabui­sierung sind Grundlage, um mitein­ander ins Gespräch zu kommen. Das Gespräch über Handlungs­op­tionen soll den Raum für Gedanken erweitern. Oft kann so ein Ausweg aus der empfun­denen Ausweg­lo­sigkeit gefunden werden. In der Realität meiner über 20-jährigen Tätigkeit als Pallia­tiv­me­di­zi­nerin haben die meisten ihren Wunsch nach einem Suizid nicht weiter­ver­folgt, wenn es gelungen ist, einen sicheren, wertschät­zenden Refle­xi­onsraum zu eröffnen, der nicht von einer externen Zuschreibung von Lebens­qua­lität getrübt wird. Dafür muss ein Gegenüber Zeit haben und Mit-aushalten können.

Im besten Fall kann es gelingen, gemeinsam auszu­leuchten, welche Verän­de­rungen das Leben aushaltbar oder lebenswert machen könnten. In jedem Fall konfron­tiert uns der Wunsch nach assis­tiertem Suizid mit der Frage, ob auch das Schwere in unserem Leben sinnvoll sein kann. Ich bin der Ansicht, dass das Sterben die letzte große Reifungs­aufgabe des Lebens ist. Menschen, die zurück­bleiben, müssen dieses Sterben in ihr eigenes Leben integrieren. Eine Selbst­tötung betrifft immer alle im Umfeld des Sterbewilligen.

Als Pallia­tiv­me­di­zi­nerin wünsche ich mir, dass wir die Menschen, die die große Heraus­for­derung des Sterbens vor sich haben, schützen und unter­stützen, damit das Leben bestmöglich bis zum Ende möglich ist, und das Sterben würdevoll und ohne Leid ablaufen kann. Medizi­nisch ist dies heute möglich. Ein Mangel an Zeit für eine notwendige persön­liche oder thera­peu­tische Beziehung oder eine nicht ausrei­chende Symptom­kon­trolle sollten nie der Grund für einen Sterbe­wunsch sein.


Zur Person: Dr. Nina-Kristin Eulitz ist seit über 20 Jahren Pallia­tiv­me­di­zi­nerin und Schmerz­the­ra­peutin. Sie ist leitende Oberärztin des im April 2021 eröff­neten pallia­tiv­me­di­zi­ni­schen Zentrums im Marienkrankenhaus Kassel. Die 52-Jährige ist verhei­ratet und lebt in Göttingen.

Mer Infor­ma­tionen: Pallia­tiv­me­di­zi­ni­sches Zentrum


Hier die komplette Debatte mit weiteren Beiträgen zum Thema “Assis­tierte Suizid” im Magazin Stadtzeit Kassel ab Seite 42:

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