HNA-Artikel: Chirurgen sind wie Orchestermusiker

Kasseler Chefärzte erklären, warum Spezia­li­sie­rungen im Opera­ti­onssaal Leben retten

Freitag, 07.Februar 2025, Hessische Allge­meine (Kassel-Mitte) / Kassel
VON: MAIKE LORENZ

Kassel – Dr. Eduardo Lauinger steht in einem der Opera­ti­onssäle des Marien­kran­ken­hauses. Von der Decke hängt eine große OP-Leuchte, neben ihm steht eine sogenannte Laparo­skopie-Einheit. Auf deren Bildschirm wird ihm bei Opera­tionen in bis zu 100-facher Größe angezeigt, was eine Sonde im Körper filmt. Um die Aufnahme dreidi­men­sional zu sehen, muss er ähnlich wie im Kino eine schwarze Brille aufsetzen.

Unter anderem mit dieser 3D-Technik sind laut Eduardo Lauinger am Marienkrankenhaus im vergan­genen Jahr mehr als 150 große Darmope­ra­tionen durch­ge­führt worden. Auf den Fachbe­reich der Kolopr­ok­to­logie – also Behand­lungen des Dickdarms und Enddarms – hat sich das Krankenhaus spezia­li­siert. Im vergan­genen Juli ist für die Kolopr­ok­to­logie am Marienkrankenhaus deshalb auch eine neue Abteilung mit Chefarzt­stelle geschaffen worden, die Eduardo Lauinger seitdem besetzt.

Ziel sei es, dadurch die Spezia­li­sierung des Kranken­hauses für den Fachbe­reich Kolopr­ok­to­logie weiter voran­zu­treiben, sagt Dr. Johannes Heimbucher, Chefarzt der Chirur­gi­schen Klinik. Er ist großer Befür­worter von Spezia­li­sie­rungen an Krankenhäusern.

Das braucht Erfahrung: Eduardo Lauinger (links) und Kollege Michael Padva bei einerTumorentfernung am Dickdarm. Dank der Brillen können sie die dreidimensionalen Aufnahmen der Sonde sehen. © Foto: Axel Sauerwein/Marienkrankenhaus
Das braucht Erfahrung: Eduardo Lauinger (links) und Kollege Michael Padva bei einer Tumor­ent­fernung am Dickdarm. Dank der Brillen können sie die dreidi­men­sio­nalen Aufnahmen der Sonde sehen. © Foto: Axel Sauerwein/Marienkrankenhaus

Die Faktenlage sei klar, sagt Heimbucher. Eine Operation in einer Klinik, die diesen Eingriff regel­mäßig durch­führe, sei im Durch­schnitt erfolg­reicher als in einer Klinik, die nur wenig Erfahrung mit der Operation habe. Das zeige zum Beispiel eine Studie mit Daten aus den Jahren 2009 bis 2014. An Kranken­häusern, die nur sehr wenige Tumor­ope­ra­tionen am Dickdarm durch­führten, seien damals etwas mehr als sieben Prozent der Opera­tionen tödlich verlaufen. An Kranken­häusern, die dagegen sehr viele dieser Tumor­ope­ra­tionen durch­führten, habe die Quote von Todes­fällen innerhalb von 30 Tagen nach der Operation unter fünf Prozent gelegen. Für Heimbucher steht deshalb fest, dass Spezia­li­sie­rungen von Kranken­häusern Leben retten können.

Abgesehen davon, ob ein Patient eine Operation überlebt, müsse sich der Erfolg des Eingriffs auch daran messen lassen, inwiefern es andere Kompli­ka­tionen gibt, sagt Heimbucher. Aus seiner Sicht liegt auf der Hand, dass eine Spezia­li­sierung von Kranken­häusern auch in Bezug auf dieses Quali­täts­kri­terium nur förderlich sein kann.

Beim Operieren sei es ähnlich wie beim Musizieren: „Berühmte Musiker in einem Orchester müssen jeden Tag üben. Wenn sie das nicht machen, werden sie um Nuancen schlechter.“ Nuancen, die im OP-Saal schnell zu Kompli­ka­tionen führen können.

Eduardo Lauinger stimmt zu. Eine Operation regel­mäßig durch­zu­führen, gebe viel Sicherheit. „Man ist mehr im Rhythmus.“ Und auch darüber hinaus sei Erfahrung sehr wertvoll. Die Entscheidung, ob das Risiko einer Operation einge­gangen werden soll oder nicht, sei nicht immer leicht. Hinzu käme: „Der Zeitpunkt, zu dem bei einem Patienten mit chronisch entzünd­licher Darmer­krankung ein Chirurg gefragt ist, ist für jeden Patienten indivi­duell.“ Mit viel Erfahrung treffe man bessere Entscheidungen.

Lauinger sagt, die Spezia­li­sierung erleichtere auch den fachlichen Austausch. Regel­mäßig treffe er sich mit anderen Spezia­listen oder behan­delnden Ärzten von Patienten zu Konfe­renzen. „Wir operieren nicht einfach los, sondern wir schmieden zusammen eine Strategie.“

In den USA sei schon lange völlig selbst­ver­ständlich, dass eine geplante Dickdarm­ope­ration in einer Abteilung statt­findet, die ausschließlich kolopr­ok­to­lo­gische Opera­tionen durch­führe, sagt Johannes Heimbucher. Auch wenn das in Deutschland noch anders ist, sei mittler­weile auch hier zu beobachten, dass – voran­ge­trieben auch durch die geplante Kranken­haus­reform – es immer mehr Konzen­tra­tionen in der Kolopr­ok­to­logie gebe.

Vorteile biete das nicht nur im Hinblick auf die erfolg­reiche Durch­führung von Opera­tionen, sondern auch im Hinblick auf die Arbeits­be­din­gungen und die ökono­mische Bilanz. „Es sichert glatte Prozesse und es muss nicht jeden Tag alles neu erfunden werden.“


Quelle:

HNA-Artikel_07.02.2025