Wunden, die nicht heilen

Das Team aus der Abteilung Allge­meine Innere, Angio­logie und Diabe­to­logie (v.l.n.r.) Dr. Markus Schäfer (Chefarzt), Dr. Marina Rippel (Oberärztin), Amin Moussa (Oberarzt).

Das Marienkrankenhaus (MKH) in Kassel ist in vielen Mediz­in­feldern eine Top-Adresse in der Region. Patien­tinnen und Patienten mit spezi­ellen Erkran­kungen beispiels­weise der Blutgefäße, oder auch solche mit Diabetes, suchen Rat und Hilfe bei den Spezia­listen des MKH.  Und diese Spezia­listen bilden die Klinik für Allge­meine Innere Medizin, Angio­logie und Diabe­to­logie. Wir haben mit Chefarzt Dr. Markus Schäfer und Oberärztin Dr. Marina Rippl gesprochen.

Wie kommt es eigentlich dazu, dass manche Wunden einfach nicht verheilen wollen oder können?

Schäfer: Der mensch­liche Organismus ist ein Wunder und verein­facht mit einem Schweizer Präzi­si­ons­uhrwerk zu vergleichen. Alle Funktionen greifen im Idealfall optimal inein­ander. Wird dieses Uhrwerk gestört, kommt es zu typischen Problemen - die wir dann als Krankheit bezeichnen und  die zum Teil katastro­phale Folgen für die Betrof­fenen haben können. Ein Beispiel hierfür sind chronische Wunden am Bein und Fuß.  Während eine einfache Wunde z.B. durch einen Schnitt am Finger beim Schnitzen innerhalb von vier bis sieben Tagen in der Regel folgenlos abheilt, treten chronische Wunden an Bein und Fuß häufig für den Betrof­fenen spontan auf, ohne dass man sich an eine Verletzung erinnern kann. Aller­dings liegt meist eine Ursache vor, die wiederum im gestörten Zusam­men­spiel der einzelnen Rädchen des Uhrwerks verstanden werden kann – und die der Arzt oder die Ärztin erkennen kann.

Was passt da denn nicht im körper­lichen Uhrwerk?

Schäfer: Bei gesunden Menschen erleben wir das perfekte Zusam­men­spiel der arteri­ellen und venösen und lympha­ti­schen Durch­blutung, der Knochen, Sehnen sowie Muskeln und der Nerven. Dieses Zusam­men­spiel ermög­licht, dass uns Beine und Füße bis ins hohe Alter jeden Tag tragen. Oft sind chronische Wunden jedoch Ausdruck eines gestörten Zusam­men­spiels dieser Faktoren. So führt beispiels­weise eine mangelnde arterielle Durch­blutung zu Schmerzen bei Belastung und im Extremfall zu Wunden vor allem im Bereich der Zehen. Ist der venöse oder lympha­tische Abfluss  - zum Beispiel durch Ödeme oder durch eine venöse Insuf­fi­zienz oder als Folge einer Thrombose -  aus dem Bein zum Herzen hin gestört, kommt es zu Schwel­lungen des Beins mit typischen Wunden z.B. im Bereich der Innen­seite des Unterschenkels.

Gibt es weitere Ursachen?

Rippl: Eine ganze Reihe! Manchmal ist das auch das Ergebnis einer Ketten­re­aktion. Fußfehl­stel­lungen können beispiels­weise aus ortho­pä­di­scher Sicht die Statik des gesamten Körpers schädigen und so durch Fehlbe­lastung zu direkte Schäden am Fuß oder aber zum Beispiel zu Arthrose des Knies  und der Hüfte führen. Sind die Nerven­bahnen etwa durch Diabetes (Neuro­pathie) gestört, schaltet die Schmerz­wahr­nehmung als wichtiges Alarm­signal für drohenden Schaden im Bereich der Füße aus.  Man nennt dies das „diabe­tische Fußsyndrom“. Hierbei finden wir Wunden vor allem im Bereich der Fußsohle. Oft gehen Verhor­nungen und Schwie­len­bil­dungen den Wunden voraus und zeigen den gefähr­deten Ort an. Das ist besonders gemein, da der in der Regel ältere Mensch die Fußsohle nicht sieht und die Wunde durch die gestörte Wahrnehmung nicht spürt.

Und wie stellt man dann fest, dass man eine Wunde hat?

Rippl: Hier sind Ärzte und Thera­peuten besonders sensi­bi­li­siert und besonders aufmerksam bei der Betreuung von Patienten mit zum Beispiel Diabetes mellitus und achten auf Frühzeichen. Aller­dings kommt es trotz der sorgsamen Arbeit in der ambulanten Versorgung zum Auftreten von Wunden. Im ungüns­tigsten Fall fällt die Wunde dann erst auf, wenn sie übel riecht, ein erheb­licher Schaden oder eine schwere Infektion durch Eintritt von Bakterien aufge­treten ist. Häufig liegt jedoch nicht nur eine Ursache vor, sondern viele Rädchen sind gestört. Dies wird als multi­fak­to­rielle Genese bezeichnet. 

Was kann denn passieren, wenn man gar nicht oder zu spät zum Arzt geht?

Schäfer: Chronische Wunden können schwere Folgen haben - wie beispiels­weise eine Blutver­giftung, eine Amputation kann eine extreme Konse­quenz sein. Sie verur­sachen für den betrof­fenen hohes Leiden, für die Gesell­schaft enorme Kosten. Deshalb ist eine zielge­richtete Diagnostik und nachhaltige Therapie extrem wichtig. Hierzu gehört unbedingt die Diagnose der für die Entstehung und fehlenden Abheilung verant­wort­lichen Faktoren wie Durch­blu­tungs­störung, Fehlbe­lastung, Blutzu­cker­ein­stellung und bezie­hungs­weise oder Nerven­schä­digung. 

Wenn eine ambulante Behandlung keinen Erfolg hat, bleibt wahrscheinlich die Konse­quenz einer statio­nären Versorgung, oder?

Schäfer: Genau. Sind die Folgen und Kompli­ka­tionen von chroni­schen Wunden wie Blutver­giftung, großer Weich­teil­schaden, starke Schmerzen ambulant nicht zu beherr­schen, ist eine stationäre Aufnahme in das Krankenhaus nötig.

Das Thema „Chronische Wunden“  ist ja eines, das sozusagen eine von mehreren Spezi­al­dis­zi­plinen des Marien­kran­ken­hauses ist. Was passiert dann, wenn ein Patient oder eine Patientin hier aufge­nommen wird?

Rippl: Genau. Bei uns im Marienkrankenhaus können wir durch unseren Schwer­punkt optimal die Ursachen der chroni­schen Wunde identi­fi­zieren und durch unsere inter­dis­zi­plinäre Zusam­men­arbeit aus Gefäß­me­dizin, Diabe­to­logie, erfah­rener Chirurgie und in der Wundbe­handlung speziell ausge­bil­deten Pflege­per­sonals in Verbund mit Physio­the­rapie effektiv behandeln. Wir haben hierzu eine speziell statt­fin­dende Wundvisite etabliert. Um seltenere Ursachen für die Wunden zu identi­fi­zieren, kann auch eine Biopsie (Unter­su­chung von Zell- oder Gewebe­proben, Anm. der Red.) der Wunde nötig sein, um zum Beispiel seltene Entzün­dungen oder auch Hauttumore nicht zu übersehen.

Was passiert nach der akuten Versorgung des Patienten?

Rippl:  Nachdem wir die Ursache für die Akutkom­pli­kation, beispiels­weise eine schwere Infektion, starke Schmerzen, eine Herzschwäche oder eine schwere Durch­blu­tungs­störung  erkannt und diese im Griff haben, steht dann im zweiten Schritt die sogenannte Kondi­tio­nierung der Wunde im Vorder­grund. Ganz wichtig ist die Funktio­na­lität des Beines und des Fußes. Sollten operative Eingriffe oder Amputa­tionen notwendig werden, ist das oberste Ziel die Integrität und Funktio­na­lität des Fußes und Beines optimal zu erhalten. Schon im Krankenhaus sorgen wir für eine Optimierung der  ortho­pä­di­schen Schuh­ver­sorgung oder von Kompres­si­ons­ver­bänden, um nachhaltige Wundver­sorgung  sicher­zu­stellen.

Ist man dann nach der Abheilung gesund?

Schäfer: Der Mensch mit chroni­schen Wunden leidet in der Regel an verschie­denen Erkran­kungen. Chronische Wunden sind immer Ausdruck eines gestörten Zusam­men­spiels der einzelnen Faktoren, wobei Herzin­suf­fi­zienz, Diabetes mellitus und Durch­blu­tungs­stö­rungen ganz wichtige Faktoren sind. Hier sind wir hier im MKH durch die inhalt­liche Ausrichtung der Abteilung sehr erfahren und durch die enge und unkom­pli­zierte Zusam­men­arbeit mit den verschie­denen Berufs­gruppen sehr kompetent.


Medizi­nische Stichworte

Venöse Insuf­fi­zienz: Vermin­derte Leistungs­fä­higkeit des Venen­systems in den Beinen, sauer­stoff­armes Blut zielge­richtet zum Herzen zu transportieren.

Biopsie: Unter­su­chung von Zell- oder Gewebeproben

Venöse Thrombose: Bei einer Thrombose bildet sich ein Blutge­rinnsel in einer Vene und kann wenn sie sich löst und durch das Herz in die Lunge treibt, als Lungen­em­bolie zu akuter Luftnot führen und poten­tiell lebens­be­drohlich werden. Jede Thrombose ist ein Notfall!

Diabetes mellitus: Oberbe­griff für verschiedene Stoff­wech­sel­er­kran­kungen, die zu erhöhten Blutzu­cker­werten führen – die Patienten haben einen Mangel an Insulin oder die Wirkung des Hormons ist vermindert.

Text: Horst Seiden­faden / Foto: Milan Soremski


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Artikel Nordhessen Gesund

 

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