Viele leiden an Adipo­sitas: HNA-Artikel

Fallzahl zwar leicht rückläufig, aber weiter auf hohem Niveau

VON ANNA WEYH /11. März 2024, Hessische Alllge­meine (Kassel-Mitte)

PD Dr. Johannes Heimbucher, Leiter des Adipositaszentrums Nordhessen im Marienkrankenhaus Kassel
PD Dr. Johannes Heimbucher, Leiter des Adipo­sit­aszen­trums Nordhessen im Marienkrankenhaus Kassel

Jede achte Person in Hessen leidet an Adipo­sitas. Das zeigt eine AOK-Studie. Auch in der Region ist der Anteil der adipösen Menschen größer als noch vor zehn Jahren. Im Landkreis Kassel ist der Wert von 2012 bis 2022 um knapp zwei Prozent­punkte auf 13,3 Prozent gestiegen. In der Stadt Kassel sind 11,2 Prozent der Menschen adipös. Im Jahr 2012 waren es noch 9,9 Prozent. Als alarmierend bezeichnet PD Dr. Johannes Heimbucher, Leiter des Adipo­sit­aszen­trums Nordhessen im Marienkrankenhaus Kassel, die Lage: „Bei uns gibt es immer mehr zu tun. Wir können aus verschie­denen Gründen nur einen geringen Anteil der Betrof­fenen behandeln.“

Einen Licht­blick hat die Studie aber: Zwar ist der Anteil an adipösen Menschen 2022 deutlich höher als noch 2012 – im Jahr 2016 gab es aber noch mehr Menschen mit der Diagnose. Seitdem zeigt sich hessenweit ein Trend, bei dem die Zahlen bei erkrankten Erwach­senen wieder leicht rückläufig sind. „Die Tendenz sieht nicht mehr ganz so drama­tisch aus. Das ist erleich­ternd. Dennoch ist das kein Grund zur Entwarnung“, betont Heimbucher.

Die Zahlen seien immer noch viel zu hoch. 

Auch bei Kindern und Jugend­lichen ist das der Fall. Im Landkreis Kassel haben 2022 4,0 Prozent der Unter-18-Jährigen die Diagnose Adipo­sitas erhalten (2012: 3,8 Prozent). In der Stadt Kassel sind es 4,6 Prozent gewesen – 2012 war der Wert sogar noch höher (5,1 Prozent).

Heimbucher sieht vor allem sozio­kul­tu­relle Gründe dafür: „Die Kinder entdecken ungesunde Produkte bei ihren Freunden, und sie sehen ständig und überall Werbe­an­zeigen von Fast-Food-Ketten und aus der Lebens­mittel-Industrie.“ Heimbucher spricht sich deshalb für ein Werbe­verbot von zucker­hal­tigen Produkten aus. Das Bundes­mi­nis­terium für Ernährung und Landwirt­schaft hat dazu im vergan­genen Sommer Pläne vorgelegt. Abstim­mungen dazu laufen noch.

Neben einer geneti­schen Veran­lagung seien auch mangelnde Bewegung und die Ernäh­rungs­kultur ursächlich für Adipo­sitas. „In vielen Familien gibt es keine festen Essens­zeiten. Statt­dessen wird dauerhaft gesnackt“, sagt Heimbucher. Auch die Psyche spiele eine Rolle: „Je länger Menschen übergewichtig sind, desto mehr leiden sie darunter. Sie ziehen sich aus dem Sozial­leben zurück.“ Opera­tionen, Abnehm-Spritzen und Ernäh­rungs­be­ra­tungen adres­sieren nur einen Teil des Problems und wirken nicht ursächlich, sagt Heimbucher: „Eine inter­dis­zi­plinäre Behandlung ist deshalb essenziell.“


Frauen öfter betroffen als Männer

Viele Menschen in der Region Kassel leiden an Adipositas

Viele Menschen in Hessen leiden an Adipo­sitas, so auch in Stadt und Landkreis Kassel. Zwar gehen die Fallzahlen laut AOK-Studie seit wenigen Jahren wieder leicht zurück, dennoch ist 2022 das Niveau noch deutlich höher als 2012. Zu hoch, sagt Dr. Johannes Heimbucher, Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Visze­ral­chir­urgie im Marienkrankenhaus Kassel und Leiter des Adipo­sit­aszen­trums Nordhessen.

Frauen sind öfter betroffen als Männer, teilt das Robert-Koch-Institut (RKI) mit. Heimbucher bestätigt das, betont aber: „Das wirklich extreme Überge­wicht kommt öfter bei Männern vor.“

Durch Überge­wicht steigt das Risiko für sekundäre Erkran­kungen wie Diabetes Typ II oder Arthrose deutlich. Doch die Folgen sind mitunter noch vielsei­tiger: „Jedes Organ­system kann betroffen sein“, sagt Heimbucher. Menschen mit Adipo­sitas seien deshalb weniger leistungs­stark, und sie leiden an der damit verbun­denen Diskri­mi­nierung – was mitunter auch psychische Spuren hinter­lasse. „Da wird es auch volks­wirt­schaftlich interessant.

Die Nahrungs­mittel-Industrie ist durch die Werbung mitver­ant­wortlich für die hohe Zahl adipöser Menschen, aber das Gemein­wesen muss die Folgen tragen“, findet Heimbucher. Er setze deshalb auf Prävention – denn wenn die Krankheit einmal richtig ausbreche, sei es schwer, damit langfristig umzugehen. Oft komme es vor, dass Betroffene 60 bis 70 Kilogramm durch eine Operation verlieren, bei der der Magen verkleinert wird. Einige nehmen danach aber wieder zu. „Manche Patienten wiegen fast so viel wie vorher“, sagt Heimbucher.

Aus diesem Grund empfiehlt er eine regel­mäßige Nachsorge in einem Adipositaszentrum:

„Wir sehen unsere Patienten gern einmal pro Halbjahr bei uns. Adipo­sitas ist eine chronische Krankheit, sie wird nie ganz weggehen.“ Ein gefragtes Mittel gegen Adipo­sitas ist seit einiger Zeit die Abnehm-Spritze. Einmal pro Woche müssen sich Patien­tinnen und Patienten eine Spritze, die ursprünglich zur Behandlung von Diabetes Typ II entwi­ckelt wurde, unter die Haut setzen. Durch die Wirkstoffe fühlen sie sich schnell satt. Die Nachfrage werde aber wieder geringer, sagt Heimbucher: „Etliche Patienten sind mit dem Effekt auf das Gewicht nicht besonders zufrieden. Die verspro­chene Wirkung der Spritze ist nur zu erreichen, wenn man auch seine Ernährung konse­quent anpasst und konti­nu­ierlich körperlich aktiv ist.“ Er vermutet, dass die sinkende Nachfrage auch mit den hohen Kosten zusam­men­hängt. Denn die Spritzen kosten mehrere Hundert Euro pro Monat und sind eine Selbst­zah­ler­leistung. „Und wenn man mit den Spritzen aufhört, nimmt man auch wieder zu. Man müsste sie also bis zum Lebensende verab­reichen“, sagt der Mediziner.


Mehr Infos unter: Adipo­sit­aszentrum Nordhessen


Quelle:

HNA Artikel 1

 

HNA Artikel 2