WELT-THROMBOSE-TAG – Gefäßspezialist Dr. med. Markus Schäfer über Thrombosen und Covid-19
HNA-Artikel: Donnerstag, 13. Oktober 2022, Hessische Allgemeine (Kassel-Mitte) / Kassel VON ANNA WEYH
Auffällig viele Covid-19-Patienten leiden während oder nach einer Infektion mit dem Coronavirus an Blutgerinnungsstörungen. Häufig entwickelt sich daraus eine Thrombose oder sogar eine Lungenembolie. Das bestätigt auch die Deutsche Herzstiftung. Zum heutigen Welt-Thrombose-Tag haben wir mit dem Gefäßspezialisten Dr. Markus Schäfer gesprochen, dem Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Angiologie und Diabetologie im Marienkrankenhaus Kassel.
Herr Schäfer, die Zahl der Lungenembolien bei Corona-Infizierten ist laut Studien auffällig hoch. Beobachten Sie das in der Klinik auch?
In der Tat sind wir durch diese Zahlen aus Studien sensibilisiert und achten sehr auf Anzeichen einer Lungenembolie. Beschrieben ist, dass bis zu 20 Prozent der Covid-Intensivpatienten Thrombosen und Lungenembolien bekommen. Das ist ungewöhnlich und von anderen Erkrankungen so nicht bekannt. Wir wissen, dass eine Corona-Infektion Entzündungen in den Blutgefäßen hervorruft. Auch Durchblutungsstörungen der Finger und Zehen treten auf bei Covid-19-Patienten, zudem gibt es vermehrt Herzinfarkte und Arterienverschlüsse.
Woran liegt das?
Sars-Cov-2 betrifft den ganzen Körper, das hat man erst durch Obduktionen zu Beginn der Pandemie herausgefunden. Bei Corona sind wir Zeitzeugen: Während es passiert, mussten und müssen wir unsere Beobachtungen dieser neuartigen Erkrankung unmittelbar in praxisrelevante Handlung für die Patienten umsetzen. Bei der Untersuchung der Verstorbenen während der ersten Krankheitswelle wurde festgestellt, dass ein Großteil der Patienten eine Lungenembolie hatte. Das liegt daran, weil das Virus die innerste Auskleidung der Blutgefäße befällt. Dort entsteht eine Entzündung. Da wir überall im Körper Blutgefäße haben, sind die Auswirkungen entsprechend groß. Vor allem bei Patienten mit Diabetes und hohem Blutdruck.
Was passiert bei einer Thrombose eigentlich im Körper?
Bei einer Thrombose stockt das Blut in einer Vene. Meist befällt eine Thrombose das Bein. Es entstehen Schmerzen, das Bein wird bläulich und dick. Aber es gibt auch andere Erkrankungen, auf die diese Symptome zutreffen. Wenn Ärzte den Verdacht auf eine Thrombose haben, bestätigt sich das nicht immer. Der erste Schritt ist meist, mit dem Blutgefäß-Ultraschall die Venen zu untersuchen. Eine Beinvenenthrombose ist eine häufige Erkrankung, die in einer Lungenembolie enden kann. Diese entsteht, wenn das Blutgerinnsel in die Lunge schießt und dort ein Blutgefäß verstopft. Der Patient bekommt dann schlecht Luft, weil das Blut nicht ausreichend mit Sauerstoff angereichert wird.
Wie behandeln Sie Patienten bei einer Thrombose?
Ist die Diagnose einer Thrombose oder einer Lungenembolie gestellt, behandeln wir mit gerinnungshemmenden Arzneimitteln. Die Therapie einer Thrombose kann gut und sicher ambulant erfolgen, wenn die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Die Therapiedauer ist nicht bei jedem Patienten gleich und wird individuell anhand von bestimmten Kriterien festgelegt. Am betroffenen Bein wird ein Kompressionsverband angelegt. Ist das Bein abgeschwollen, bekommt der Patient einen Kompressionsstrumpf. Besteht hingegen eine Lungenembolie, ist ein Krankenhausaufenthalt zur Behandlung und weitergehenden Untersuchungen nötig.
Wenn Thrombosen bei Covid-19-Patienten so häufig vorkommen, kann man dann nicht jedem Infizierten vorbeugend Blutverdünner geben?
Das bringt leider nichts, denn die Blutverdünner sind auch nicht ungefährlich. Zum einen blutet es bei einer Verletzung stärker. Zum anderen kann es auch spontan bluten. Etwa ein bis drei Prozent der Patienten mit Blutverdünner bekommen einfach so eine Blutung, zum Beispiel im Magen oder Gehirn. Wenn ein Covid-19-Patient stationär im Krankenhaus aufgenommen wird, bekommt er eine geringe, sogenannte prophylaktische Dosis, die je nach Schwere der Erkrankung erhöht werden kann.
Welche Ursachen kann eine Thrombose denn außer Corona noch haben?
Entweder ist das Blut zu dick, das Blutgefäß ist geschädigt oder das Blut fließt zu langsam. Dann kann sich ein Blutpfropf bilden. An sich ist die Blutgerinnung auch etwas Gutes, denn sonst würden wir verbluten, wenn wir uns verletzen. Eine Thrombose ist allerdings eine krankhafte Blutgerinnung. Sie kann zum Beispiel durch eine Flugreise oder eine Operation ausgelöst werden. Andere Faktoren, die das Risiko steigern, sind die Anti-Baby-Pille, Übergewicht oder eine familiäre Veranlagung. Bei älteren Patienten muss man auch an eine Tumorerkrankung denken. Häufig findet man keine Ursache für die Thrombose.
Was sollten Menschen beachten, wenn sie eine Corona-Infektion zu Hause durchmachen?
Nicht jeder Patient, der Covid-19 durchmacht, benötigt eine Thrombose-Prophylaxe. Aber wenn ein Infizierter schon mal eine Thrombose hatte, sollte er in Absprache mit dem Hausarzt eine prophylaktische Blutverdünnung erhalten. Jeder sollte darauf achten: Wenn ich Covid habe und auf einmal viel schlechter Luft bekomme oder mein Bein dicker wird, dann könnte eine Thrombose oder eine Lungenembolie vorliegen. Das muss ärztlich abgeklärt werden.
IN ZAHLEN
- Jährlich sterben mehr als 40 000 Menschen an einer Lungenembolie
- 3 Mal höher ist die Wahrscheinlichkeit als Frau, durch die Einnahme der Anti-Baby-Pille eine Thrombose zu bekommen. Normalerweise erkranken etwa zwei bis vier von 10 000 Frauen pro Jahr an einer Beinvenenthrombose.
- 20 Prozent und mehr der Krebspatienten entwickeln im Laufe ihrer Erkrankung zusätzlich eine Thrombose.
- 40 000 Menschen sterben in Deutschland pro Jahr an den Folgen einer Lungenembolie, das sind mehr Tote als durch Verkehrsunfälle, Brust- und Prostatakrebs und HIV zusammen. Das meldet das Aktionsbündnis Thrombose. Wird eine Thrombose oder eine Lungenembolie rechtzeitig erkannt, ist die Erkrankung aber gut zu behandeln.
- 370 000 Neuerkrankungen an Thrombose, Phlebitis und Thrombophlebitis (Venenentzündungen mit beginnender/vollständiger Verstopfung der Vene durch ein Blutgerinnsel) werden jährlich registriert.
ZUR PERSON
Dr. med. Markus Schäfer (48) ist Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Angiologie, Diabetologie im Marienkrankenhaus Kassel. Er ist in Kassel geboren und studierte Humanmedizin in Witten (Nordrhein-Westfalen). Schäfer ist Facharzt für Innere Medizin und Angiologie und hat eine Zusatzbezeichnung für die Notfallmedizin. Seit dem Jahr 2012 arbeitet er im Marienkrankenhaus. Schäfer ist verheiratet und hat drei Kinder. Mit seiner Familie reist und wandert er gern, am liebsten in Italien. Schäfer spielt Tennis und ist leidenschaftlicher Koch.
Zum Download:
Artikel HNA, 13.10.2022 zum Welt-Thrombose-Tag