Beim Mouth-Taping kleben sich junge Menschen den Mund zu
Gefährlicher Online-Hype: Vor allem junge Menschen kleben sich nachts den Mund mit Pflastern zu.
Mittwoch, 04. Oktober 2023, Hessische Allgemeine (Kassel-Mitte) / Kassel
VON ANNA WEYH
Besser schlafen. Sich fitter fühlen. Gesünder in den Tag starten. Der Internet-Trend Mouth-Taping verspricht das alles – prominente Influencerinnen und Influencer sowie TikTok-User teilen in den sozialen Medien, wie sie sich den Mund zum Schlafen zukleben: mit speziell dafür vorgesehenen Schlaf-Tapes, mit Heftpflastern oder einfach mit Gaffer-Tape.
Das nächtliche Verschließen des Mundes soll sich positiv auf den Schlaf auswirken. Doch Prof. Dr. Martin Konermann, Chefarzt des Schlafmedizinischen Zentrums am Marienkrankenhaus Kassel, warnt jedoch davor, diesen Trend leichtfertig umzusetzen.
„Der Trend ist nicht totzukriegen“, sagt Konermann, der schon seit geraumer Zeit häufig in der Schlafambulanz, aber auch im privaten Umfeld auf das Mouth-Taping angesprochen wird. Vor allem jüngere Menschen seien daran interessiert. Konermann betont: „Niemand sollte das einfach so machen. Wenn eine anatomische Verengung in den Atemwegen vorliegt, kann es passieren, dass man dann nachts zu wenig Luft bekommt.“ Deswegen rät der Mediziner, vor dem Mouth-Taping zumindest in einer fachärztlichen Hals-Nasen-Ohren-Praxis abklären zu lassen, ob die Nasenwege frei sind.
Ist das der Fall, kann Mouth-Taping bei Menschen auch einen Vorteil haben, so der Mediziner. Denn bei nächtlicher Mundatmung werde die Luft vor dem Einatmen nicht angewärmt und nicht gereinigt. Die Nase hingegen habe eine Filterfunktion. „Die Nasenatmung aber zu erzwingen, in dem ich den Mund zuklebe, ist keine Lösung“, betont der Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Intensivmedizin und Schlafmedizin.
Mouth-Taping könne auch gegen das Schnarchen helfen, heißt es. „Bei Erwachsenen ist Schnarchen stark verbreitet, vor allem bei Männern.“ Reines Schnarchen allein sei zunächst aber nicht schlimm, nur lästig, sagt Konermann: „Wenn dann aber nachts die Luft angehalten wird und Tagesmüdigkeit dazukommt, sollte das ärztlich abgeklärt werden.“ Ein Pflaster auf dem Mund allein sei nicht zu empfehlen. Stattdessen sollten sich Betroffene in einer Schlafambulanz und in einem Schlaflabor auf eine Schlafapnoe untersuchen lassen. Darüber hinaus seien die Versprechen des TikTok-Trends aber haltlos, sagt Konermann: „Man wird nicht schöner und nicht fitter dadurch. Es gibt überhaupt keine Studien dazu, die das belegen würden.“ Zumindest ersticken könne man an dem Internet-Trend aber nicht, sagt Konermann: „Wenn irgendetwas passiert, was die Nasenatmung verhindert, wird man vorher wach.“
Besondere Vorsicht sei jedoch geboten, wenn Schnarchen schon im Kindesalter auftrete. „Das ist ein Warnsignal. Schnarchen bei Kindern ist nicht normal und muss auf jeden Fall untersucht werden“, sagt Konermann. Meist sei die Nasenatmung dann durch stark vergrößerte Mandeln oder Polypen gestört. „Nachts entspannt sich die Muskulatur im Rachen, deshalb wird es dann noch deutlicher und der Mund ist weiter geöffnet als am Tag“, erklärt der Mediziner und betont, dass Mouth-Taping bei Kindern niemals angewendet werden sollte.
Das Schlafen mit geschlossenem Mund sei bei ihnen generell wichtig: „Es stört sonst die Entwicklung des Gesichts und auch die geistige Entwicklung, wenn der Mund geöffnet bleibt.“ Das Gewicht der Zunge auf der unteren Zahnreihe fehle dann – das mache einen erheblichen Unterschied, so Konermann.
Im Schlaflabor des Marienkrankenhauses können auch Kinder ab dem Kita-Alter behandelt werden. Jüngere Kinder (unter vier Jahren) müssen in ein spezielles Kinder-Schlaflabor gehen – das nächste sei in Heiligenstadt. „Eltern müssen sich im Klaren sein, dass sie dadurch eine Schlafapnoe im Erwachsenenalter ihrer Kinder verhindern können.“
Mehr Infos zur Schlafmedizin: Schlafmedizinisches Zentrum